Rechtstipps & Urteile
„Ich bitte um Verständnis dafür, das ich ab sofort aus Altergründen neue Mandate nicht mehr annehme“
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Zum Thema Erbrecht
- Bei Nachlassverwaltung: Keine gerichtliche Genehmigung für Antrag auf Teilungsversteigerung nötig
- Grundbuchrechtliches Verfahren: Nachweis der Nacherbfolge kann nur durch Erbschein geführt werden
- Nachlassgericht nicht zuständig: Nur Beschwerdegericht darf das Ruhen von Erbscheinsverfahren anordnen
- Totenfürsorgerecht: Grundgesetzlich geschützte Totenruhe überwiegt Anspruch auf Umbettung
- Transmortale Vollmacht: Wirkung einer über den Tod geltenden Vollmacht zugunsten der Alleinerbin
Eine Teilungsversteigerung dient der zwangsweisen Aufhebung einer Miteigentümergemeinschaft an einem Grundstück bzw. einer Immobilie. Für einen Nachlasspfleger ist dabei anerkannt, dass er für eine solche Antragstellung eine ausdrückliche Genehmigung des Nachlassgerichts benötigt. Ob diese Genehmigungspflicht auch für den Nachlassverwalter gilt, war Gegenstand einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG).
Nach dem Tod des Erblassers im Jahr 2021 beantragte ein Miterbe erfolgreich die Anordnung einer Nachlassverwaltung. Der Nachlassverwalter stellte im Jahr 2023 einen Antrag auf Anordnung einer Teilungsversteigerung eines im Miteigentum des Erblassers stehenden Grundbesitzes.
Neben der Frage der Beschwerdeberechtigung einer am Verfahren formal nicht beteiligten Person hat sich das OLG insbesondere auch mit der Frage beschäftigt, ob für die Antragstellung eine Genehmigungspflicht bestanden hat. Eine Genehmigungspflicht im Zwangvollstreckungsverfahren besteht ausdrücklich nur für Betreuer und Vormunde, weshalb auch anerkannt ist, dass dies auch für Nachlasspfleger gilt, deren Aufgabe darin besteht, für die unbekannten Erben zu handeln. Diese sind ähnlich schützenswert wie Betreute oder Mündel von Vormunden. Ein solches Schutzbedürfnis besteht im Fall der Nachlassverwaltung aber nicht, da die Erben dort nicht unbekannt sind. Daher benötigt der Nachlassverwalter grundsätzlich keine Genehmigung des Nachlassgerichts für einen Antrag auf eine Teilungsversteigerung.
Hinweis: In dem Verfahren auf Erteilung einer Genehmigung sind die Mitberechtigten an dem Grundstück nicht beschwerdeberechtigt. Deren Einwände können nur im Teilungsversteigerungsverfahren selbst geltend gemacht werden.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 11.03.2024 - 21 W 16/24
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 05/2024)
Änderungen des Grundbuchs müssen grundsätzlich durch geeignete Urkunden nachgewiesen werden. Im Fall des Oberlandesgerichts Karlsruhe (OLG) beantragte die Eigentümerin eines Grundstücks, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die Löschung eines dinglichen Vorkaufsrechts.
Der bereits im Jahr 1990 verstorbene Erblasser hatte zusammen mit seiner im Jahr 2018 verstorbenen Ehefrau ein gemeinschaftliches Testament errichtet, aufgrund dessen die Ehefrau zunächst zur befreiten Vorerbin eingesetzt wurde. Nach dem Tod des Längstlebenden sollten die vier gemeinschaftlichen Kinder Nacherben werden. Im Jahr 1973 hatten der Erblasser und seine Ehefrau zu je einem Viertel und deren Sohn zu hälftigem Miteigentumsanteil ein Grundstück erworben. Der Sohn hatte dabei seinen Eltern ein gemeinschaftliches, dingliches Vorkaufsrecht an seinem hälftigen Miteigentumsanteil eingeräumt, das zudem auch vererblich sein und für alle Verkaufsfälle gelten sollte. Nach dem Tod des Erblassers und der befreiten Vorerbin beantragten die Eigentümer die Löschung des dinglichen Vorkaufsrechts und legten hierzu den Erbschein vor, der die Ehefrau als befreite Vorerbin auswies und einen Nacherbenvermerk enthielt.
Nachdem das Grundbuchamt die Löschung des Vorkaufsrechts unter Verweis darauf verweigerte, dass kein Nachweis über die Nacherbfolge vorgelegt worden sei und die hiergegen eingelegte Beschwerde der Eigentümerin erfolglos war, schloss sich auch das OLG dieser Auffassung an. Ein Erbschein für den Vorerben mit Nacherbenvermerk bezeugt nur das Vorerbenrecht und muss nach Eintritt des Nacherbfalls eingezogen werden.
Hinweis: Der Nachweis der Erbfolge im grundbuchrechtlichen Verfahren kann - von wenigen Ausnahmen abgesehen - nur durch einen Erbschein geführt werden.
Quelle: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 14.02.2024 - 14 W 96/23
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(aus: Ausgabe 05/2024)
Um unterschiedliche Entscheidungen zwischen Nachlassgericht und Zivilgericht bei parallel laufenden Verfahren zu vermeiden, kann das Nachlassgericht das Erbscheinsverfahren aussetzen und die Entscheidung des Zivilgerichts abwarten, wer Erbe geworden ist. Dass dies aber nicht in allen Fällen möglich ist, war Gegenstand einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle (OLG).
Das Nachlassgericht hatte mit Beschluss vom 16.08.2023 bezüglich eines beantragten gemeinschaftlichen Erbscheins die dafür erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Hiergegen hatte eine Miterbin Beschwerde eingelegt und diese unter anderem damit begründet, dass die als Grundlage angenommenen Testamente wirksam angefochten und wegen Testierunfähigkeit des Erblassers unwirksam seien. Zugleich wurde auf eine bereits erhobene, aber noch nicht entschiedene Erbenfeststellungsklage beim Landgericht verwiesen. Das Amtsgericht (AG) hatte daraufhin das Verfahren ausgesetzt und dies damit begründet, dass die Entscheidung in dem Rechtsstreit auf Erbenfeststellung maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidung im Erbscheinsverfahren habe. Gegen diese Entscheidung zur Aussetzung des Verfahrens haben sich wiederum die übrigen Miterben zur Wehr gesetzt - und dies erfolgreich.
Das OLG hat hier klargestellt, dass das erstinstanzliche Erbscheinsverfahren mit dem Beschluss des AG vom 16.08.2023 bereits beendet war. Die Einlegung der Beschwerde, die auch dort zu erfolgen hatte, sei bereits Teil des Beschwerdeverfahrens. Die Kompetenz des Nachlassgerichts beschränkt sich aber nur noch auf die Überprüfung, ob es der Beschwerde selbst bereits abhilft. Sollte das Ausgangsgericht dies nicht machen, ist es dazu verpflichtet, das Verfahren unverzüglich an das Beschwerdegericht abzugeben. Aus diesem Grund sei es dem Nachlassgericht verwehrt gewesen, anstelle des Beschwerdegerichts das Ruhen des Verfahrens anzuordnen.
Hinweis: Nur wenn das Ausgangsgericht Abhilfe gegenüber der selbst getroffenen Entscheidung in Erwägung zieht und hierfür beispielsweise eine Beweisaufnahme notwendig ist, kann die Aussetzung des Verfahrens Teil der Abhilfeprüfung im Beschwerdeverfahren sein. Dann muss aber sichergestellt sein, dass in dem Zivilrechtsstreit die Beweisaufnahme zeitnah durchgeführt wird. Der Beschluss zur Aussetzung des Verfahrens muss entsprechend begründet werden.
Quelle: OLG Celle, Beschl. v. 02.01.2024 - 6 W 166/23
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(aus: Ausgabe 05/2024)
Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (OVG) hatte sich in zweiter Instanz mit einem Fall zu beschäftigen, dessen problematischer Ursprung in der versehentlich erfolgten doppelten Vergabe eines Nutzungsrechts an einer Grabstelle lag. Dieses Versehen schnell zu beseitigen, ist aufrgund der heiklen Umstände, die der Verlust eines Menschen naturgemäß mit sich bringt, entsprechend schwierig.
Besagte Grabstelle war im Juni 2019 im Wege eines Vorratskaufs zur zukünftigen Nutzung an den Beigeladenen des Verfahrens zur Verfügung gestellt worden. Im Dezember 2019 wurde dann aufgrund eines Versehens in der Friedhofsverwaltung die Mutter der Klägerin in dieser Grabstelle beigesetzt. Zwei Wochen nach der Beerdigung fiel der Verwaltung der doppelte "Verkauf" der Grabstelle auf - die Klägerin wurde letztlich aufgefordert, eine Umbettung der verstorbenen Mutter in eine andere Grabstelle zu dulden.
Ebenso wie das Verwaltungsgericht Köln in der ersten Instanz war auch das OVG der Ansicht, dass das Interesse der Verwaltung an einer Umbettung ausnahmsweise die durch das Grundgesetz geschützte Totenruhe des Verstorbenen als über den Tod hinaus andauernder Bestandteil seiner Menschenwürde überwiege. Dieses Interesse an der Wahrung der Totenruhe sei auch nicht davon abhängig, ob die Bestattung in dem Wahlgrab rechtmäßig sei oder nicht.
Hinweis: Das Totenfürsorgerecht wird nicht zwingend durch das Erbrecht bestimmt. Das Totenfürsorgerecht hat in erster Linie derjenige, der vom Verstorbenen zu dessen Lebzeiten durch eine entsprechende Vollmacht mit der Wahrnehmung betraut worden ist. Der Totenfürsorgeberechtigte kann aber zugleich auch Erbe sein.
Quelle: OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 22.03.2024 - 19 A 604/22
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 05/2024)
Eine Vollmacht kann auch über den Tod des Vollmachtgebers hinaus wirksam sein - in Form einer sogenannten transmortalen Vollmacht. Doch diese rechtsgeschäftlich erteilte Vollmacht kann im Einzelfall Probleme erzeugen, wenn nach dem Tod des Erblassers feststeht, wer Erbe nach dem Verstorbenen geworden ist und welche Auswirkungen dies auf die Vollmacht hat. So war es auch in diesem Fall des Oberlandesgerichts Nürnberg (OLG).
Der im Jahr 2022 verstorbene Erblasser hatte im Jahr 1990 seiner Ehefrau eine Generalvollmacht auch über seinen Tod hinaus erteilt und sie auch von den gesetzlichen Beschränkungen befreit, dass sie nicht mit sich selbst Rechtsgeschäfte abschließen könne. Nach dem Tod des Erblassers schloss die Ehefrau, die Alleinerbin nach ihrem verstorbenen Ehemann geworden ist, bezüglich eines im Eigentum des Erblassers stehenden Grundbesitzes und unter Berufung auf die notarielle Generalvollmacht einen Überlassungsvertrag mit sich selbst ab und beantragte die Eintragung im Grundbuch. Das Grundbuchamt wies die Eintragung unter Berufung auf die Vollmacht zurück, da es der Ansicht war, dass durch die Alleinerbenstellung die erteilte Vollmacht erloschen sei.
Die hiergegen von dem Notar für die Erbin eingelegte Beschwerde war vor dem OLG im Ergebnis erfolgreich. Die Erbin habe sich bei dem Übertragungsvertrag ausdrücklich auf die erteilte Vollmacht bezogen, die auch über den Tod des Erblassers hinaus nicht ihre Wirkung verloren hatte. Wenn die Vollmacht im Rechtsverkehr das Vertrauen auf den Fortbestand der Vollmacht schütze, müsse dies auch vom Grundbuchamt beachtet werden.
Hinweis: Problematisch und in der Rechtsprechung durchaus umstritten sind die Fälle, in denen die Eigentumsübertragung nicht unter Berufung auf die Vollmacht, sondern vielmehr unter Berufung auf eine Alleinerbenstellung erfolgt ist.
Quelle: OLG Nürnberg, Beschl. v. 25.03.2024 - 15 Wx 2176/23
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(aus: Ausgabe 05/2024)
Zum Thema Familienrecht
- Billigkeitsprüfung: Eigener Wohlstand widerspricht nicht dem Anspruch auf Versorgungsausgleich
- Rentenvertrag gekündigt: Billigkeitsprüfung beim Versorgungsausgleich nach Ausübung des Kapitalwahlrechts
- VKH für polnische Scheidung: Recht auf unterschiedslose und absolute gleichwertige Gewährung von Rechtsschutz
- Vaterschaft missgönnt: Mutter muss Abstammungsgutachten allein bezahlen
- Vorsicht vor Steuerstraftat: Familienkasse muss dringend mitgeteilt werden, wenn Kind nicht mehr bei Kindergeldempfänger lebt
Der Anspruch auf Versorgungsausgleich setzt nicht voraus, dass man bedürftig ist. Davon war eine Ärztin, die ein Immobilienvermögen geerbt hatte, aus dem sie rund 16.500 EUR im Monat einnahm, und die aus dem Zugewinnausgleich bereits rund 350.000 EUR vom Ehemann bekommen hatte, auch weit entfernt. Dennoch verlangte sie Anteile der Altersversorgung von ihrem Ehemann - die Sache ging bis vor den Bundesgerichtshof (BGH).
Das zuständige Oberlandesgericht fand, dass sie angesichts ihrer eigenen auskömmlichen Verhältnisse darauf verzichten müsse, zusätzlich auch noch Anteile der Altersversorgung ihres Ehemanns zu erhalten, der weitaus weniger Vermögen besaß als sie. Sonst bestünde im Ergebnis ein erhebliches wirtschaftliches Ungleichgewicht. Den Zugewinnausgleich, den sie bekommen habe, habe allein der Mann erarbeitet. Der Mann sei auf seine Altersvorsorge angewiesen.
Diese Wertung trug der BGH jedoch nicht mit. Zwar sind Fälle einer groben Unbilligkeit nach Gesamtabwägung der wirtschaftlichen, sozialen und persönlichen Verhältnisse beider Ehegatten denkbar - sie bleiben jedoch die Ausnahme. Dafür müsste nicht nur der insgesamt ausgleichsberechtigte Ehegatte über so hohes Einkommen oder Vermögen verfügen, dass seine Altersversorgung voll abgesichert ist (so wie hier). Zum anderen müsse der insgesamt ausgleichspflichtige Ehegatte auf die ehezeitlich erworbenen Versorgungsanrechte zur Sicherung seines Unterhalts dringend angewiesen sein. Und diese zweite Voraussetzung war hier nicht erfüllt, weil der Mann nach Durchführung des Versorgungsausgleichs immer noch rund 2.000 EUR Altersrente zur Verfügung haben würde. Und dies ist mehr als ein durchschnittliches Renteneinkommen.
Hinweis: Die Abweichung vom starren Halbteilungsprinzip beim Versorgungsausgleich ist eine seltene Ausnahme.
Quelle: BGH, Beschl. v. 31.01.2024 - XII ZB 259/23
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 05/2024)
Erst vereinbaren die Eheleute notarvertraglich Gütertrennung, dann trennen sie sich. So war es im Fall des Oberlandesgerichts Karlsruhe (OLG). Denn dass sich der Mann kurz vor seiner Einreichung der Scheidung zwei private Rentenverträge auszahlen ließ, nachdem er vom diesbezüglichen Kapitalwahlrecht Gebrauch gemacht hatte, stieß seiner Ehefrau bitter auf. Daher landete die Sache auch zuerst vor dem Familiengericht (FamG) und schließlich vor dem OLG.
Das FamG prüfte, ob der Mann die Rentenverträge dem Versorgungsausgleich entzogen und dadurch die Verteilungsgerechtigkeit gestört habe. Denn wegen der zuvor vereinbarten Gütertrennung kam die Frau nicht in dem anderen Ausgleichssystem - dem Zugewinnausgleich - an ihren hälftigen Anteil. Der Mann argumentierte, die Rentenverträge seien nie Teil seiner Altersvorsorge gewesen, sondern Teil der Finanzierung seiner Augenarztpraxis. Dafür sprach auch, dass er damals die Verträge an die finanzierende Bank abgetreten hatte. Zudem hielt er der Bewertung als Altersvorsorge entgegen, dass die Fälligkeit der ersten Rentenzahlung bereits im Alter von 50 begonnen hätte, wenn er nicht die Kapitalauszahlung gewählt hätte.
Dennoch urteilte das OLG, dass die beiden Rentenversicherungsverträge bei objektiver Betrachtungsweise der Absicherung im Alter gedient hätten. Hierfür spreche die Art des Vertrags mit lebenslanger Zahlweise. Dass der Mann trotz des ausgezahlten Rentenkapitals noch berufstätig war, stand der Annahme, dass die Anwartschaft der Absicherung im Alter dienen sollte, nicht entgegen. Denn es liege nahe, dass er bei Abschluss der Verträge für möglich hielt, bereits mit 50 nicht mehr arbeiten zu wollen. Erwähnenswert war dem OLG auch der enge zeitliche Zusammenhang zwischen der Ausübung des Kapitalwahlrechts und der Einleitung des Scheidungsverfahrens. Unter diesen Umständen bekam der Mann von den Altersanrechten der Frau den entsprechenden Teil nicht.
Hinweis: Das Gericht konnte ein gerechtes Halbteilungsergebnis erzielen, weil auf Seiten der Frau ausreichend Altersvorsorge vorhanden war, die ihr dann ungeteilt verblieb. In Fällen, in denen das entzogene Anrecht mehr wert ist als das, was die Gegenseite abgeben müsste, führt eine solche Vorgehensweise zu wirtschaftlichem Erfolg, auch wenn sie als unbillig beurteilt wird.
Quelle: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 15.02.2024 - 18 UF 82/23
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(aus: Ausgabe 05/2024)
Zwei polnische Staatsangehörige hatten in Polen geheiratet und sich schließlich getrennt. Frau und Kinder blieben in Polen, der Mann war nach Deutschland gezogen. Zehn Jahre später reichte er die Scheidung ein - in Deutschland. Dafür beantragte er Verfahrenskostenhilfe (VKH), die ihm das Familiengericht Neustadt am Rübenberge (FamG) verweigerte. Doch dann ging die Sache zum Oberlandesgericht Celle (OLG).
Der europäische Gesetzgeber hat in Art. 3 Brüssel IIb-Verordnung diese gleichrangige Auswahl zwischen internationalen Zuständigkeiten ermöglicht. Dadurch, dass der Antragsteller sich seit mehr als einem Jahr in Deutschland aufgehalten hatte, war ihm der deutsche Rechtsweg eröffnet. Das bedeutete aber nicht, dass das deutsche Gericht nach deutschem Familienrecht entscheidet: Weil beide Ehegatten die polnische Staatsangehörigkeit hatten und die Frau noch in Polen wohnte, galt das deutsche Scheidungsrecht nicht. Das FamG gewährte ihm daher dafür auch keine VKH. Er solle das Scheidungsverfahren in Polen führen. Denn auch, wenn es eine Wahlzuständigkeit für das Scheidungsverfahren in beiden Ländern gebe, sei seine Entscheidung, den Antrag in Deutschland einzureichen, mutwillig. Ein deutsches Gericht müsse sich dann mit polnischem Scheidungsrecht befassen, womit es sich nicht auskenne und deshalb ein teures Rechtsgutachten einholen müsse. Ein verständiger Beteiligter, der die anteiligen Gerichtskosten aus eigener Tasche zu zahlen hätte, würde dieses Scheidungsverfahren nicht in Deutschland führen.
Das OLG hob diese Entscheidung des FamG auf. Die mit dem ausländischen Recht verbundenen Unannehmlichkeiten für das Gericht und die eventuellen Mehrkosten durften nicht zur Ablehnung von VKH führen. Die Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte würde das Recht auf unterschiedslose und absolute gleichwertige Gewährung von Rechtsschutz verletzen. Zudem läge darin zu Lasten von EU-Bürgern ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 12 Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, der auch verdeckte Ungleichbehandlungen verbietet. Ergänzend kam hinzu, dass das FamG gar nicht geprüft hatte, ob für den Antragsteller eine Rechtsverfolgung vor einem polnischen Gericht tatsächlich günstiger wäre und er mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln wirtschaftlich in der Lage wäre, von Deutschland aus das Verfahren in Polen zu betreiben.
Hinweis: Das FamG muss bei der Anwendung ausländischen Rechts nicht zwingend ein teures Rechtsgutachten einholen. Es gibt deutschsprachige Literatur darüber, außerdem ein europäisches Abkommen, nach dem Anfragen an ausländische Gerichte gestellt werden können.
Quelle: OLG Celle, Beschl. v. 20.02.2024 - 12 WF 15/24
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(aus: Ausgabe 05/2024)
Der biologische Vater eines Kindes ist durch ein Sachverständigengutachten zu ermitteln, wenn die Mutter sogenannten "Mehrverkehr" hatte. Die Kosten müssen in so einem Fall alle Beteiligten anteilig tragen, denn Kindesmutter und potentielle Väter veranlassen das Verfahren in gleicher Weise dadurch, dass sie miteinander geschlechtlich verkehrt haben. Im Fall des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen (OLG) lag die Sache jedoch anders.
Hier war sich das OLG mit dem vorinstanzlichen Amtsgericht (AG) einig: Die Mutter musste sowohl das Verfahren als auch das Abstammungsgutachten alleine bezahlen. Denn hier gab es nicht mehrere Sexualkontakte innerhalb der sogenannten gesetzlichen Empfängniszeit - also keinen Mehrverkehr. Es kam vielmehr nur ein einzelner Mann als Vater infrage. Und dieser wollte sogar gern der gesetzliche Vater des Kindes sein. Selbst die Mutter bezweifelte nicht, dass er der Erzeuger war, und hätte mittels Vaterschaftsanerkennung beim Jugendamt zustimmen können, um die Verfahrenskosten zu vermeiden. Doch sie missgönnte dem Mann den Status als gesetzlicher Vater, weil er sich um das Kind ihrer Meinung nach nicht ausreichend kümmere. Sowohl AG als auch OLG beurteilten dieses Verhalten als mutwillig und reagierten mit dem Auferlegen von Kosten.
Hinweis: Die gesetzliche Empfängniszeit dauert vom 300. bis zu dem 181. Tag vor der Geburt des Kindes. Sie ist so lang, um alle außergewöhnlichen biologischen Varianten der Zeugung zu erfassen.
Quelle: Hanseatisches OLG in Bremen, Beschl. v. 29.02.2024 - 4 UF 1/24
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(aus: Ausgabe 05/2024)
Typische Falle nach Trennung von Eltern: Das Kindergeld wird an den Elternteil weitergezahlt, der nicht mehr mit dem Kind zusammenlebt. Dann ist es an den Finanzgerichten - wie hier am Finanzgericht Bremen (FG) -, die Sache nicht nur zu klären, sondern auch die unberechtigt gezahlten Beträge wieder in die Familienkasse zurückzuholen.
So war es im Fall eines Mannes, dessen Frau ohne sein Einverständnis im Juli mit dem gemeinsamen Kind ausgezogen war. Vor dem Familiengericht wurde Mitte September über den Lebensmittelpunkt des Kindes verhandelt - mit dem Ergebnis, dass die Mutter das alleinige Sorgerecht bekam und das Kind weiter bei ihr wohnen durfte. Im Oktober meldete die Mutter das Kind rückwirkend zum Juli um. Erst im Dezember teilte der Mann dies der Familienkasse mit. Dass er das Kindergeld von August bis Dezember an die Familienkasse zurückzahlen musste, lag auch daran, dass die Mutter nicht auf dem dafür vorgesehenen Formular bestätigte, dass er es an sie weitergeleitet hatte. Er meinte, dass ihm das Kindergeld noch bis zur Sorgerechtsentscheidung im September zugestanden habe, weil er vorher mit einem Auszug seines Kindes gar nicht einverstanden gewesen sei und noch das Mitsorgerecht gehabt habe.
Darauf kam es dem FG, das ihn zur Rückzahlung verurteilte, aber nicht an. Sobald das Kind nicht zeitnah in den Haushalt des kindergeldberechtigten Elternteils zurückkehrt, entfällt der Kindergeldanspruch rückwirkend bei dem einen Elternteil und entsteht bei dem anderen Elternteil. Auf den Zeitpunkt der rechtlichen Klärung dieser tatsächlichen Situation kommt es genauso wenig an wie auf die Ummeldung. Dass der Vater mit dem Wohnsitzwechsel erst in der Gerichtsverhandlung am 15.09. einverstanden war, ändert nichts daran, dass ein tatsächliches Obhutsverhältnis zwischen ihm und dem Kind ab August nicht mehr bestanden hat. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob dem Vater eine Verletzung von Mitwirkungspflichten vorwerfbar ist oder ob er das Kindergeld bereits verbraucht hat und damit "entreichert" ist.
Hinweis: Es ist eine Steuerstraftat, wenn man der Familienkasse nicht unverzüglich mitteilt, dass das Kind nicht mehr im selben Haushalt lebt wie der Kindergeldempfänger - zunehmend verfolgen die Staatsanwaltschaften dieses Delikt.
Quelle: FG Bremen, Urt. v. 26.02.2024 - 2 K 103/23
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 05/2024)